Orientierungen zum Umgang mit Sikh-Patienten

Je mehr medizinisches Personal über den Hintergrund von Patienten weiß, umso würdevoller und erfolgreicher kann die Behandlung erfolgen. Foto: Unsplash

Grundwissen zum religiösen Hintergrund hilft, eine würdevolle Behandlung von Patienten sicherzustellen

Der folgende Leitfaden liefert eine Orientierung für Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegepersonal, die Sikh-Patienten betreuen. Es werden Hinweise zu den Themen Hygiene, Ernährung, religiöse Besonderheiten und zum Umgang mit einschneidenden Erfahrungen wie dem Tod gegeben. Grundsätzlich empfehlen wir, in Ruhe nach den individuellen Bedürfnissen, Gewohnheiten und der aktuellen Lebenslage zu fragen. Dies hilft, ein stereotypisches Vorgehen zu vermeiden.

Einführung in die Lebensweise der Sikhi

Sikhi, so wird die Lebensweise der Sikhs im Original genannt, entwickelte sich ab dem 15. Jahrhundert im Panjab. Die junge Weltreligion fußt auf einzigartigen Traditionen, darunter einer eigenen poetischen Schriftsprache, Namensgebung, Rezitationskunst und einem noblen Erscheinungsbild. Sikhi geht auf zeitlose Weisheiten (Gurmat) zurück, die über 30 Weisen offenbart und schriftlich überliefert wurden (Gurbani). Sie inspirieren ca. 25 Millionen Sikhs weltweit und 35.000 im deutschsprachigen Raum. Sikhi sieht alle Lebewesen als gleichwürdigen Teil einer Familie an. Ihre Weisheiten helfen Kindheitsprägungen zu reflektieren, natürliche Bedürfnisse von Begierden zu unterscheiden, eine zyklische Weltsicht anzunehmen sowie die Diaspora der Vergänglichkeit zu transzendieren. Gurmat bereitet so den Weg für ein würdevolles, ethisches, gesundes und spirituelles Leben im Einklang mit der Natur und dem Göttlichen.

Bedürfnisse klären

Zunächst ist es hilfreich, wenn das zuständige medizinische Personal abfragt, was beim Umgang beachtet werden sollte und welche persönlichen Wünsche bestehen. Falls Probleme bei der Verständigung auftreten, raten wir kompetente Person, die den sprachlichen und religiösen Hintergrund kennen, hinzuzuziehen. In einigen Städten kann der jeweilige Rat der Religionen ggf. Hilfe bei der Suche einer geeigneten Person anbieten. Zudem können Übersetzungshilfen, die online zu Verfügung stehen, eine grundlegende Kommunikation ermöglichen.

Privatsphäre

Vor allem Sikhs, die aus dem Panjab stammen, haben oft ein ausgeprägtes Schamgefühl. Daher sollte bei jeder medizinischen oder pflegerischen Behandlung besonders auf die Wahrung ihrer Privatsphäre geachtet werden. In einem Mehrbettzimmer sollte darauf geachtet werden, dass bei eine Visite und Untersuchung immer der Bettvorhang zugezogen wird. Stammen Sikhs aus der Ursprungsregion Panjab, in Nord-Indien, werden Frauen möglicherweise eher weibliches und Männer männliches Personal bevorzugen.

Hygiene

Sikhs legen Wert auf eine gesunde Lebensweise und Hygiene. Vor dem Essen waschen sich Sikhs die Hände. In ihrer Gegenwart sowie bei der Essenszubereitung sollte grundsätzlich weder geraucht noch Alkohol oder Drogen konsumiert werden. Sikhs waschen sich bevorzugt unter fließendem Wasser und ziehen daher eine Dusche einem Bad vor. Nach der Toilette reinigen sie sich bevorzugt mit Wasser, anstatt nur Toilettenpapier zu benutzen. Daher ist es hilfreich, eine Schüssel oder eine Flasche bereitzustellen.

Ernährung

Wir raten stets im Einzelfall nachzufragen, welche Nahrungsgewohnheiten vorherrschen. Sikhs bevorzugen Speisen, die im Familienkreis oder in der Gemeinde frisch zubereitet wurden. Einige Sikhs sind Vegetarier. Sie meiden alle Fleisch- und Fischsorten. Manche Sikhs essen auch keine Eier. Geschächtetes Fleisch bzw. Fleisch, welches aus anderen Schlachtformen gewonnen wird, bei denen Tiere leiden, werden von Sikhs grundsätzlich gemieden.

In der Sikh-Gemeinde (Gurdwara) wird nach dem Abschlussgebet eine eigens zubereitete Süßigkeit verteilt, die Parshad genannt wird. Es kann vorkommen, dass ein wenig davon und andere Speisen aus der Gemeinde von Angehörigen mitgebracht werden. Aus ganzheitlicher Sicht kann es sinnvoll sein, wenn Patientinnen oder Patienten trotz besonderer Diät etwas von diese Speisen kosten dürfen, sofern keine zwingenden medizinischen Gründe dagegen sprechen.

Religiöse Besonderheiten

Für Sikhs is es wichtig, dass sie die Möglichkeit bekommen, ihre Lebensweise auch bei einem stationären Aufenthalt auszuüben. Sikhs rezitieren regelmäßig Verse aus der Gurbani, zeitlose spirituelle Weisheiten; in der Regel morgens und abends. Manche Sikhs rezitieren die Verse vollständig auswendig. Andere verwenden ein kleine Sammlung mit den überlieferten Weisheiten (Gutka). Heutzutage werden auch Apps auf dem Smartphone und Tablet genutzt oder Audioaufnahmen angehört. Vor den Rezitationen waschen sich Sikhs in der Regel die Hände und spülen den Mund aus. Manche waschen auch ihre Füße. Bettlägerige Patientinnen oder Patienten sollten daher mit einer kleinen Waschschüssel versorgt werden.

Sikh-Patienten, die gut gehen und sitzen können, sind dankbar über einen separaten, ruhig gelegen (multireligiösen) Raum der Stille und Kontemplation. Dieser sollte sauber, schlicht und rauchfrei sein. Von Vorteil wäre, wenn man bequem auf dem Boden auf einem Teppich sitzen könnte.

Weise Sikhs, die sich durch die Khande Di Pahul Zeremonie zum Orden des Khalsa haben initiieren lassen, tragen üblicherweise fünf Merkmale, die Panj Kakar (5Ks). Sie legen ihr kleines Schwert, ihren Eisenarmreif, ihre Baumwollshorts, ihren Holzkamm und ihre Kopfbedeckung nur ab, wenn dies erforderlich ist, bspw. bei Röntgenuntersuchungen oder einem MRT. Die Haare werden grundsätzlich bewahrt. Sie aus medizinischen Gründen abzuschneiden, fällt Sikhs ungmein schwer. Dies sollte daher nur bei einer dringenden medizinischen Indikation erfolgen. Eine frühzeitige und ausführliche Beratung über die Notwendigkeit des Eingriffs ist daher sehr wichtig.

Geburt und Namensgebung

Die Geburt eines Babys ist ein freudiges Ereignis für Sikhs, da sie zumeist sehr familienorientiert sind. Angehörige werden die Mutter regelmäßig besuchen und ihr frisches Essen mitbringen. Die Namensgebung folgt bei Sikhs einer besonderen Tradition. Neugeborene Kinder bekommt ihren Vornamen in der Regel nicht gleich nach der Geburt. Denn dieser wird traditionell mithilfe der zentralen Werkes der Sikhi, dem Guru Granth Sahib, der die Einsichten von über 30 Erleuchteten enthält (Gurbani), ausgewählt. Mädchen erhalten idealerweise den einheitlichen Nachnamen “Kaur” (Prinzessin) und Jungen den Nachnamen “Singh” (Löwe). Bei der Erledigung der Geburts- und Namensformalitäten sollten die Besonderheiten der Sikh-Tradition berücksichtigt werden. Je nach Staatsangehörigkeit und der jeweiligen Gesetzeslage kann es bei den Behörden zu Herausforderungen kommen. Es ist daher empfehlenswert, sich frühzeitig vor der Geburt mit den jeweils gültigen Namensregelungen vertraut zu machen.

Begleitung Schwerkranker

Rezitationen spenden Kraft und Vertrauen. Gerade auch in existenziellen Situationen. Schwer kranke Sikhs, die selbst nicht mehr in der Lage sind, Verse zu rezitieren, sind dankbar, wenn Verwandte oder Freunde dies übernehmen. Hilfreich ist auch, wenn Verse oder Verserläuterungen über das Smartphone abgespielt werden. Eine Auswahl an Rezitationen findet sich hier. Weitere Rezitationen können unter anderem durch eine Internetsuche über die Stichworte “Kirtan Hazuri Ragi”.

Lebensverlängernde Maßnahmen

Sind Sikhs todkrank oder liegen mit aussichtslosen Aussichten auf Genesung im Koma, können aus religiöser Sicht lebenserhaltende Geräte abgeschaltet werden, da das Hinauszögern des körperlichen Todes als nicht sinnvoll erachtet wird. Wichtig ist, möglichst frühzeitig mit Sikhs, die eine ernsthafte Erkrankung haben, über den Umgang mit lebensverlängernden Maßnahmen zu sprechen und die entsprechenden Genehmigungen einzuholen. Ratsam ist auch, rechtzeitig eine Patientenverfügung zu verfassen.

Blut- und Organspende

Gegen Bluttransfusionen oder eine Organ- und Blutspende ist aus Sicht der Sikhi nichts einzuwenden. Im Gegenteil. Aus religiöser Sicht ist der Dienst an den Mitmenschen ein hohes Gut. Auch hier ist es ratsam, rechtzeitig in den Dialog zu gehen und etwaige Zustimmungen einzuholen. Ein Organspendeausweis ist ratsam.

Tod und Obduktion

Sikhs versuchen bestmöglich, den körperlichen Tod genauso wie die Geburt als einen natürlichen Schritt anzunehmen (Hukam). Dabei wird davon ausgegangen, dass ein lebloser Körper nicht mehr von einem seelischen Bewusstsein durchdrungen ist. Ein toter Körper hat daher für Sikhs keinen hohen Wert. Er wird soweit möglich verbrannt. Bei der Versorgung des Leichnams durch Pflegepersonal ist zu beachten, dass die fünf Merkmale von initiierten Sikhs des Khalsa (Kakar) möglichst nicht entfernt werden. Dies beinhaltet, dass die ungeschnittenen Haare samt Turban respektvoll behandelt werden. Der Körper wird gewaschen und traditionell mit weißer Kleidung bedeckt. Gegenüber einer Obduktion mag es persönliche Einwände geben. Aus religiöser Sicht spricht nichts dagegen.

Einäscherung

Bei der Versorgung des Leichnams sind immer die jeweiligen Gesetze des Landes zu berücksichtigen. Sikhs werden traditionell eingeäschert. Die Asche wird der Natur zurückgeführt, sei es durch das Verstreuen in einem Wald oder einem Fluss. Angehörige, Freundinnen und Freunde sowie Bekannte kommen soweit möglich zeitnah zusammen, um spirituelle Weisheiten aus der Gurbani zu rezitieren (unter anderem Sohila) und sich gegenseitig zu stärken.

Literaturempfehlungen

Über den Rat der Religionen Frankfurt ist der Leitfaden „Seelsorge Interreligiös” entstanden. Darüber hinaus sind folgende Publikationen hilfreich, die unter Mitarbeit von Sikhs entstanden sind. Sie behandeln den Umgang mit Sikh-Patienten und orientieren sich an den hier zusammengestellten Informationen:

Evangelische Kirche Rheinland. “Die wichtigsten Religionen und Weltanschauungen. Ein Leitfaden für Mitarbeitende in Krankenhaus, Einrichtungen der Altenhilfe und Hospiz.”

Elke Urban. “Transkulturelle Pflege am Lebensende - Die Pflege Sterbender und den Umgang mit Verstorbenen unterschiedlicher Religionen und Kulturen". Kohlhammer Verlag.

Hinweis

Der vorliegende Text kann unter Angabe der Quelle “Rat der Sikhi, SikhiCouncil, www.sikhi.eu” ausgelegt werden.

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